OFFEN FÜR VIELFALT
Wir engagieren uns für Menschen mit Behinderung, denn Kirche meint alle Menschen und holt alle Menschen ab. Gott mit Herz, Mund und Händen zu loben, macht offener und weiter. In der Arbeit mit Menschen mit Behinderung machen wir die Erfahrung, dass alle Beteiligten gewinnen und das Herz vermeintliche Grenzen spielend überwindet.
Das Spezialpfarramt
- bietet spezialisierte Seelsorge;
- ist zuständig für den Religionsunterricht und die Konfirmandenarbeit;
- bietet Gottesdienste an;
- ist Kontakt- und Vernetzungsstelle und betreut bei Bedarf auch Angehörige und Lehrpersonen.
Für Gehörlose Menschen gibt es ein Spezialpfarramt für die ganze Ostschweiz. Zu dessen Angeboten gehört neben Seelsorge auch die Leitung einer Gehörlosengemeinde mit Gebärden-Gospelchor.
GROSSER TAG FÜR ANNINA UND GINA
Es ist Sonntag, der 26. März 2017, vor der Kirche in Rothenbrunnen. Die Uhr zeigt 9.50 Uhr an. Zum Gottesdienst haben sich bereits viele Menschen in der Kirche versammelt. Alles ist bereit. Die im Unterricht gestaltete Kerze leuchtet auf dem Taufstein. Die Kirche ist festlich geschmückt. Die Lehrerinnen haben die Blumen liebevoll ausgewählt und gestiftet. An der Kanzel hängt das bunte Poster, das im Klassenverband für das heutige Fest gemalt wurde. Wir warten vor der Kirche: Gina und Annina, für die Konfirmation festlich in neuer Kleidung ausstaffiert, Pfr. Thomas Ruf als Vertreter der Ortsgemeinde und ich.
Lange haben wir uns auf diesen Tag gefreut und uns vorbereitet. Im Kompetenzzentrum für Sonderpädagogik «Giuvaulta» haben Annina, Gina und ich uns intensiv mit der Konfirmation beschäftigt. Mit Geschichten und Liedern, mit Musikstücken und Rhythmikinstrumenten, mit Bildern und grossen Postern, mit Bastelarbeiten und Spielen, mit Handpuppen und Stofftieren, mit Gebetswürfel und Kerze waren wir miteinander auf diesem Weg unterwegs. Lautsprachunterstützende Gebärden für Menschen mit einer Behinderung oder Bildkarten zur unterstützten Kommunikation waren uns weitere Hilfsmittel. Mit allen Sinnen versuchten wir, unsere Themen zu ergründen; zum Beispiel zu erfahren, was Taufe und Abendmahl für uns bedeuten könnten. Die einzelnen Schritte eines Gottesdienstes haben wir direkt vor Ort geübt, hier mit tatkräftiger Unterstützung des Lehrerteams.
Das Warten zehrt an den Nerven. Um 10 Uhr wollten wir gemeinsam in die Kirche einziehen. Ohne Glockengeläut, weil Annina keine lauten Geräusche mag, aber zu einem sanften Orgeleingangsspiel. So hatten wir das geplant und einstudiert. Aber die Anspannung ist eindeutig zu gross. Um 9.55 Uhr sind die beiden Konfirmandinnen nicht mehr zu halten. Zielstrebig marschieren sie los in Richtung der vordersten Kirchenbank. Thomas und ich schliessen uns an. Zarte Orgelklänge ertönen, der Mesmer macht die Kirchentüre zu, der Festgottesdienst beginnt.
Nach der gemeinsamen Begrüssung ersetzt das erste Lied das fehlende Glockengeläut. Es stammt von Andrew Bond und war auch im Konfirmandenunterricht stets ein absolutes Muss: «Hööch im Chileturm schlaat d‘ Glogge, bim bam, bim bam bum. D‘Chiletüür staat ganz wit offe, chumm doch, chumm doch, chumm!» Das Lied wird von der ganzen Gemeinde gesungen. Gina und Annina singen mit lauter Stimme mit. Beim «bim bam bum» spielen sie mit viel Eifer mit je einem Triangel.
«Gute Engel schützen dich», so lautet der Titel eines Bilderbuches von Marni McGee zu Psalm 91, 11 ff. Dieses Wort bildet gleichsam die thematische Überschrift unserer Feier. Mit Hilfe der genannten Geschichte wird diese Verheissung veranschaulicht. Tiere aus Wald und Bauernhof berichten in der Erzählung von ihren Erfahrungen mit Engeln. Wir alle erzählen die Engelsgeschichte gemeinsam: Ich berichte mit Hilfe einer passenden Handspielpuppe: Eule, Schaf, Hahn, Kuh, Hund. Annina und Gina sowie im Laufe der Erzählung auch die Kinder oder einzelne Erwachsene im Gottesdienst machen den jeweiligen Tierlaut. Beim Auftritt der Engel in der Geschichte spielen Gina und Annina mit Unterstützung einer Lehrperson mit einem Glockenspiel. Parallel dazu erzählt eine Lehrerin die Geschichte mit lautsprachunterstützenden Gebärden, während Thomas Ruf durch das Kirchenschiff geht und die Bilder aus dem Bilderbuch zeigt. Die Atmosphäre ist sehr konzentriert und aufmerksam. Die Erzählung endet mit einem Hinweis auf das grosse Engelsbild und der Verheissung: «Der liebe Gott hat seine Engel geschickt, dass sie euch, liebe Annina, liebe Gina, beschützen. Ihr müsst keine Angst haben.» Als weiteres Geschenk einer Lehrerin ertönt ein Zwischenspiel. Es ist das Lieblingslied von Annina. Das Stück von Andrew Bond trägt den Titel «Wulchechind». Die Lehrerin singt das Lied zu Gitarrenbegleitung. Annina summt mit. Nach einer Kurzpredigt folgt das Wunschlied von Gina. Auch dies ist ein Lied von Andrew Bond, das die Lehrerin mit tatkräftiger Unterstützung der beiden Konfirmandinnen singt: «Schneeglöckli lütet hell.»
Nun ist es soweit: Als Höhepunkt des Gottesdienstes steht die Konfirmation bevor. Vor dem Taufstein versammeln sich die Konfirmandinnen mit ihren Begleitpersonen. Nach der den Konfirmandinnen vertrauten Einleitung konfirmiere ich per Handschlag. Die Familien haben die Konfirmationssprüche ausgesucht: Für Annina: «Du, Gott bist die Quelle, die uns Leben schenkt. Deine Liebe ist die Sonne, von der wir leben.» (Ps. 36, 10), und für Gina: «Der Herr ist mein Hirte» (Ps. 23,1). Beide Konfirmandinnen haben dasselbe Bild mit dem Titel «Eden» gewählt. Es zeigt einen Weg in einer grünen Landschaft. Am Himmel scheint eine grosse, strahlende Sonne. Schon wieder gibt es Geschenke! Thomas Ruf überreicht jeder Konfirmandin einen Engel und eine Feldflasche zur Stärkung auf dem weiteren Lebensweg. Die Überraschung und Freude der Konfirmandinnen ist deutlich sichtbar.
Nach so vielen bewegenden Eindrücken neigt sich der Gottesdienst allmählich dem Ende zu. Im Vorfeld gewünschte Choräle und ein Gebet stehen noch aus. Und dann folgt die Bitte um Gottes Segen: Die ganze Gemeinde tut dies so, wie wir das im Unterricht regelmässig praktizieren, nämlich mit Worten und den dazugehörigen Bewegungen: «Beschirmt, beschützt, in Gottes Hand, gohn i getrost in as neus Land». Etwas kräftigere Orgelklänge ertönen. Die frisch Konfirmierten ziehen mit uns Pfarrpersonen aus der Kirche aus. Jetzt läuten die Glocken, als Kompromiss, denn Gina gefallen Kirchenglocken sehr. Wir stehen an der Kirchenmauer. Es ist nach 11 Uhr. Gina und Annina nehmen Glückwünsche entgegen. Erinnerungsfotos werden gemacht. Zufriedene Gesichter blicken in die Kamera. Noch mehr Päckli erfreuen die Konfirmierten an ihrem grossen Tag.
Auch ich fühle mich reich beschenkt. Und ich bin froh und dankbar darüber, dass ich mit so besonderen, interessanten und einzigartigen Menschen unterwegs sein darf.
Astrid Weinert