2. Februar 2021
„Wie viel Nähe ist zu nah?“
Ausserordentliche Synode mit Wahlen, Vernehmlassung und Weiterbildung zu Grenzverletzungen
An der Arbeitstagung von heute Dienstag haben die Bündner Pfarrpersonen über Grenzen und Grenzverletzungen diskutiert. Fachpersonen der Fachstelle LIMITA riefen den Kirchenleuten Basiswissen in Erinnerung. „Kirchliche Arbeit ist ohne Nähe nicht denkbar", sagte etwa Kursleiterin Karin Iten, „doch wie viel Nähe ist zu nah?“ Fallbeispiele sensibilisierten für die Grenzen der Integrität und zeigten auf, wie Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Abhängigkeitsverhältnissen geschützt werden können. Die per ZOOM durchgeführte Weiterbildung unterstrich die Bedeutung eines entsprechenden Risiko- und Krisenmangements.
Sexuelle Übergriffe betreffen Frauen ebenso wie Männer - sowohl auf Täter-, wie auf Opferseite. Der Austausch unter den Pfarrpersonen zeigte auf, wie sehr solches Erleben Betroffene verunsichert und alle in Mitleidenschaft zieht. Dabei handle es sich nicht um ein spezifisch kirchliches, sondern um ein allgemein gesellschaftliches Problem. Die Weiterbildung zeigte, wie sehr sexuelle Übergriffe Menschen prägen können. Wie ein Riss gehe die Erfahrung durch Kopf, Herz und Seele. Diesem folgten Sprachlosigkeit und Ohnmacht. Am schlimmsten jedoch sei die Einsamkeit und die Unfähigkeit, darüber zu reden.
Grenzverletzungen können auch Teams stark verunsichern, so Präventionsfachfrau Iten. Zum Beispiel Leiterteams von Freizeiten für Kinder oder Jugendliche. Bei Irritationen und Vermutungen gerieten diese in ein Dilemma zwischen ihrem Schutzauftrag für die Teilnehmenden und der Fürsorgepflicht gegenüber der beschuldigten Person. Iten unterscheidet dabei klar zwischen einem grauen und einem roten Bereich, wobei rot für alle Fälle steht, bei denen ein Verdacht auf eine Straftat besteht. „Hinschauen genügt nicht“, sagt sie, denn Manipulationen seien von aussen nur selten als solche erkennbar. Es brauche Teamkultur, Feedback und Gefässe der Reflexion. Regeln und Standards seien unabdingbar.
Für die Evangelisch-reformierte Landeskirche Graubünden ist die Pfarrweiterbildung vom Dienstag ein erster Schritt. Der Kirchenrat hat die Erarbeitung eines Konzepts in Auftrag gegeben, das den professionellen Umgang mit solchen Fragen gewährleisten soll. Es geht darum, eine Meldestelle einzurichten und klare Abläufe vorzugeben. Akuell und wichtig ist dies nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sich die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) sehr schwer getan hat mit den Vorkommnissen rund um den ehemaligen Präsidenten Gottfried Locher - und es immer noch tut.
An der ausserordentlichen Synode vom Montag in Chur wählten die Synodalen Pfrn. Simona Rauch, Viscosoprano, als Erste Vizedekanin und Pfr. Christoph Reutlinger, Tschlin, als Quästor. Pfr. Richard Aebi, Sargans, ist neu Mitglied der landeskirchliche Rekurskommission. Zudem berieten die Synodalen einen Gesetzesentwurf über die Zulassung zum pfarramtlichen Dienst. Für Diskussionen sorgte etwa die Frage, wer in Zukunft die Wählbarkeit für Pfarrpersonen erteilt. Dafür solle das Dekanat zuständig sein, befanden die Synodalen. Bis anhin war es der Kirchenrat.
Hinter den Kulissen begann auch die Diskussion über die Nachfolge von Dekanin Cornelia Camichel Bromeis. Wer ihre Nachfolge antreten wird, entscheidet die ordentliche Synode Ende Juni in Splügen.
Stefan Hügli
Kommunikation
Bild: Synode mit Abstand in der Comanderkirche in Chur. Daheimgebliebene Synodale konnten die Verhandlungen per Livestream mitverfolgen.