18.1.2022

Fünfzehn Laufmeter aus fünf Jahrhunderten

Ab sofort sind die Bestände des Synodal- und Kirchenarchivs vor 1940 öffentlich einsehbar und mit sogenannten Regesten erschlossen. Darüber hat die Evangelisch-reformierte Landeskirche -Graubünden zusammen mit den Verantwortlichen des Staatsarchivs Graubünden am vergangenen Freitag informiert. Möglich gemacht hat dies ein Depositumsvertrag, den die Landeskirche mit dem Staatsarchiv abgeschlossen hat. Es handle sich um ein für die Bündner Geschichte ausserordentlich wichtiges Archiv, sagte alt Staatsarchivar Silvio Margadant, der zusammen mit dem Kirchenhistoriker Jan-Andrea Bernhard die Erschliessungsarbeiten verantwortete. "Ohne den Idealismus und die Hartnäckigkeit der beteiligten Fachpersonen lägen die Bestände immer noch im Dornröschenschlaf", sagte Kirchenratsaktuar Peter Wydler.

Die Bestände des Archivs reichen bis in die Zeit der Reformation zurück. Das erste Dokument stammt aus dem Jahr 1537. Es ist das Gründungsdokument der Synode, der Versammlung der reformierten Bündner Pfarrpersonen. Später kamen Unterlagen weiterer Gremien hinzu. Die Bedeutung des Archivs liege darin, dass es Informationen zum Alltag der Pfarrpersonen und der Gemeinden sowie zu den kirchlichen und politischen Strukturen im Gebiet der Drei Bünde und des Kantons Graubündens enthalte, sagte Jan Andrea Bernhard, Professor an der Universität Zürich. In den alten Dokumenten geht es einerseits um Gesetzgebungsprozesse, um ethische und standesethische Fragen. Doch auch Jörg Jenatsch, die Täufer oder viele weitere Themen kommen darin vor. Es wird die Trunksucht unter den Geistlichen beklagt ebenso wie das Nichteinhalten ehelicher Treue.

Begonnen haben die Erschliessungsarbeiten im Jahr 2017 im landeskirchlichen Verwaltungsgebäude an der Loestrasse in Chur. Hier lagerte das umfangreiche Material hinter feuerfesten Türen. Zwar sicher aufbewahrt, aber schlecht zugänglich und nur wenige fanden, was sie suchten. Die Arbeit von Margadant und Bernhard begann mit einem Überblick über das vorhandene Material. Es galt Wichtiges von Unwichtigem zu separieren und letzteres zu entsorgen. Die beiden erstellten einen Archivplan und transportierten das Material ins Staatsarchiv. Dort wurde jede einzelne Seite begutachtet und erfasst. Margadant pflegte sie ins Archivsystem des Staatsarchivs ein, Bernhard erstellte Regesten, die durch Zusammenfassungen und Schlagworte Recherchen erleichtern.

Eine besondere Herausforderung bestand darin, dass ein beträchtlicher Teil der Dokumente in Lateinisch verfasst ist, von Hand geschrieben unter Verwendung vieler Abkürzungen. „Unzählige Male sassen wir vor einem Dokument und wussten nicht, was das heissen soll“, erzählten Margadant und Bernhard. Da Papier einst teuer war, ist die Schrift oft klein und die Zeilen folgen einander mit minimalem Abstand. Zudem hätten etliche Schreiberlinge ganz offensichtlich ihre Lateinfähigkeiten überschätzt, meint Bernhard. Doch das Fachwissen und die Akribie von Margadant und Bernhard haben obsiegt.

Heute steht allen am Synodal- und Kirchenratsarchiv Interessierten für ihre Recherchen ein nach allen Regeln der Kunst erstelltes "Findmittel" im Umfang von 5000 Seiten zur Verfügung. Dazu gibt es "Regesten" im Umfang von 1500 Seiten. 34 000 Schlagworte sind darin verzeichnet und es gibt zusammenfassende Inhaltsangaben auf Deutsch. Unbestritten dürfte sein, dass das nun erschlossene Kirchenarchiv zu neuen Forschungsprojekten animieren wird. Auf neue Einblicke in die Geschichte der Bündnerinnen und Bündner darf man gespannt sein.

Stefan Hügli
Kommunikation

Suche im Staatsarchiv Graubünden

Südostschweiz vom 17.1.2022, Ein neue Zuhause für ein altes Archiv
Quotidiana vom 17.1.2022, Tema, Seite 2
 

 

Bild: Alt Staatsarchivar Dr. Silvio Margadant und Prof. Dr. Jan-Andrea Bernhard: Sie haben die Bestände des Synodal- und Kirchenratsarchivs erschlossen - mit grossem Fachwissen und viel Akribie.