24.6.2023
Das Unverfügbare würdigen
Lebendigkeit – das war der unausgesprochene Angelpunkt, um den sich in der Synodalproposition von Angelika Müller alles drehte. Unter dem Titel „die unverfügbare Kraft in Seelsorgegesprächen“ konfrontierte sie die Synodalen mit Erfahrungen aus ihrer mehr als 20-jährigen Tätigkeit als Beraterin in der Paar- und Lebensberatung. Je offener eine Person mit der Unverfügbarkeit der Welt umgehen könne, desto lebendiger erlebe sie diese, sagte Müller. Sie legte dar, wie sehr die Erwartung, dass im Leben „alles machbar und greifbar“ zu sein habe, in die Enge führt - bis hin zum Verstummen, zu Aggression und Wut.
Wer als Seelsorgerin Menschen in schwierigen Situationen helfen will, muss „Räume öffnen“. Unterstützend wirken dabei laut Müller eine Haltung der Ruhe und Präsenz sowie gleichschwebende Aufmerksamkeit. Ja, es gebe Regeln für Beratungs- und Seelsorgegespräche, fürs Sprechen ebenso wie fürs Zuhören. Doch Methoden und Techniken allein genügten nicht. Das Wesentliche in Seelsorgesituationen sieht Müller in der „Resonanz“, welche in und zwischen den anwesenden Personen entsteht. Resonanz lasse Vertrauen wachsen und ermuntere Ratsuchende, ihren Empfindungen Ausdruck zu geben.
Geglückt ist für Angelika Müller ein Gespräch, wenn Berührbarkeit entsteht und Selbstaufmerksamkeit. Wenn neue Sichtweisen und Verwandlung möglich werden und wenn Menschen zu akzeptieren lernen, dass im Leben so manches unkontrollierbar ist. Gerade weil Müller eine theologische und eine psychologische Ausbildung hat, ist ihr das Gespräch zwischen Theologie und Psychologie wichtig. Sie tauscht sich aus mit Therapeutinnen und Therapeuten, weiss um die Bedeutung von Beziehungen für die persönliche Entwicklung und den Heilungsprozess. Ganz bewusst bringt sie auch theologische Begriffe und das Potential religiöser Praktiken ein: die Praxis des Gebets etwa, des Dankens oder der Vergebung.
"Seelsorge braucht Gespür", das ist unbestritten. Zum Beispiel Gespür für den Eros als "subtile Energie, die den ganzen Menschen erfasst", für die Sehnsucht, die Kreativität und die Kraft, welche Menschen Erlebtes, die Welt und sich selbst neu sehen lassen. In der Praxis gehe es immer wieder auch darum, Blockaden zu lösen, Freiräume grösser werden zu lassen und Scham zu begrenzen. Kurz: Energie frei fliessen zu lassen. Als Theologin hat sie Erfahrung darin, wie auch tradierte Worte in Bewegung setzen können. Wo etwas zum Schwingen kommt, kann Neues entstehen. Freude zum Beispiel, die Auflösung eines Schuldgefühls oder neues Vertrauen ins Leben.
Stefan Hügli
Kommunikation
Bild: "Methoden allein genügen nicht" - Angelika Müller, Pfarrerin und Gestaltherapeutin. Sie arbeitet als Beraterin bei Paarlando, der Paar- und Lebensberatungsstelle Graubünden.