1.2.2023

Schulung im Umgang mit Grenzverletzungen

Die synodale Arbeitstagung in Chur hat die Pfarrerinnen und Pfarrer mit Fallbeispielen von Mobbing und sexueller Belästigung konfrontiert: für den richtigen Umgang mit grenzverletzendem Verhalten und zur Prävention.

Wer für die Kirche arbeitet oder ein kirchliches Angebot nutzt, soll vor grenzverletzendem Verhalten geschützt sein. So will es das Konzept zum Schutz der persönlichen Integrität, wie es der Kirchenrat im Sommer verabschiedet und der Öffentlichkeit vorgestellt hat. An einer Arbeitstagung in Chur wurden nun die Pfarrerinnen und Pfarrer geschult. Sie lernten, mögliche Vorkommnisse zu erkennen und einzustufen, besprachen Fallbeispiele, lernten Möglichkeiten der Intervention und das Vorgehen bei einer Meldung bzw. einer Beschwerde kennen. „Wir sind sensibilisiert, und dennoch können wir dazulernen“, sagte Projektleiter Johannes Kuoni. „Grenzverletzungen können in jeder Kirchgemeinde vorkommen und wiegen dort besonders schwer.“

Claudia Christen Kühnis vom Beratungsunternehmen MOVIS bot einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen. Sie machte klar, dass Arbeitgebende in der Pflicht stünden, für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben in ihrem Betrieb zu sorgen. „Im Falle der Kirchgemeinden sind das die Kirchgemeindevorstände“, führte sie aus und unterschied fünf Formen grenzverletzenden Verhaltens: Bedrohung/Gewalt, sexuelle Belästigung, Mobbing, Diskriminierung und spirituelle Grenzverletzung. Letztere sei eine Besonderheit des kirchlichen Kontextes: Gemeint seien damit Respektlosigkeit gegenüber anderen religiösen oder weltanschaulichen Ansichten, unsorgfältig-religiöse Deutung von Lebenssituationen oder „Missbrauch von Gottes Willen zum Zwecke persönlicher oder vermeintlich kirchlicher Interessen“.

Die Tagung vermittelte Grundkenntnisse. Sie stellte die Vertrauenspersonen vor, an welche sich Ratsuchende kostenlos wenden können. Zusätzlich steht eine 24h-Online-Beratung zur Verfügung. Im Vordergrund stünden dabei die Hilfe zur Selbsthilfe, der Schutz und die Betreuung der Betroffenen sowie die sorgfältige Abklärung von weiteren Schritten, sagte Gabriela Schuster, Regionalleiterin der Beratungsunternehmens MOVIS. Klar sei, dass ohne Einverständnis der Betroffenen aus diesen Gesprächen nichts weitergegeben werden dürfe – ausser im Falle einer akuten Selbst- oder Fremdgefährdung. Den Verantwortlichen in den Kirchgemeinden stehen bei Bedarf spezialisierte Anlaufstellen zur Verfügung: eine Kerngruppe Persönlichkeitsschutz und in schweren Fällen ein Krisenstab.

Schulung der Wahrnehmung. Die Teilnehmenden lernten die Handhabung eines Rasters, welcher die Einstufung grenzverletzendem Verhalten nach Schweregrad ermöglicht. In Anlehnung an den Bündner Standard unterscheidet er zwischen alltäglichen Situationen, leichten, schweren und massiven Grenzverletzungen und ordnet ihnen entsprechende Massnahmen zu. Zudem zieht das Papier eine unmissverständliche rote Linie: Unangemessener Umgang mit Nähe und Distanz oder Handgreiflichkeiten unter Kindern und Jugendlichen zählen zu den leichten Vorkommnissen. Als schwer eingestuft und darum meldepflichtig werden sexuelle Belästigung oder Mobbing. „Beobachten, ansprechen, intervenieren“ – das sei das Wichtigste im Umgang mit grenzverletzendem Verhalten, führte Gabriela Schuster weiter aus, auch im Hinblick auf die Prävention. Es gehe darum, auf Veränderungen zu achten: Körperliche Anzeichen seien ebenso ernst zu nehmen wie Veränderungen der Gefühlsreaktion, der Leistung oder des sozialen Verhaltens.

Die Diskussion unter den Teilnehmenden zeigte, dass der Einstufungsraster hilfreiche Unterscheidungen bietet. Einzelne Stimmen monierten, dass der für stationäre Einrichtungen erstellte Bündner Standard nur bedingt für die Arbeit in den Kirchgemeinden nutzbar sei. Auch seien Fragen des Seelsorgegeheimnisses der Pfarrpersonen nicht genügend berücksichtigt. Andere gaben zu bedenken, wie wichtig für Pfarrpersonen das Rollenbewusstsein angesichts der vielfältigen Aufgaben in Schule, Seelsorge, Freiwilligenarbeit und Gottesdienst sei.

Ziel der Tagung war, für den Umgang mit grenzverletzendem Verhalten zu sensibilisieren. Die Herausforderung für die Pfarrerinnen und Pfarrer wird nun darin bestehen, das Gelernte im Kirchgemeindealltag umzusetzen – zusammen mit den örtlichen Kirchgemeindevorständen.

Stefan Hügli
Kommunikation


mehr zum Thema:
gr-ref.ch/integritaet

Bild: Verantwortlich für die Schulung vom 30./31. Januar (v.r.n.l.): Gabriela Schuster, Sozialdiakon Johannes Kuoni, Claudia Christen Kühnis und Pfr. Georg Felix.