25.4.2023

500 Jahre Reformation in Chur

Ein ansprechend gestalteter Band zur Reformation und ihrer 500-jährigen Geschichte in Chur animiert zu geschichtlichen Entdeckungsreisen. An der Buchvernissage gaben Stadtarchivar Ulf Wendler, Prof. Jan-Andrea Bernhard und Publizist Martin A. Senn einige spannende Einblicke.

Bischof, Domprobst, Laien. Im Mittelalter waren kirchliche Missstände weit verbreitet. Verschiedene Erneuerungsbemühungen verliefen erfolglos. Einen wesentlichen Anstoss zu Reformen gaben 1517 Martin Luthers Thesen zum Ablass. Sie fanden dank dem Buchdruck rasch Verbreitung. 1519 erreichte die Stadt Chur, dass neben dem Domprobst der Rat der Stadt das Recht zur Ernennung des Pfarrers von St. Martin erhielt. Als der Domprobst die 1522 verwaiste Pfarrstelle lange Zeit nicht besetzte, machte der Rat von seinem Recht Gebrauch und berief 1523 den reformatorisch gesinnten Johannes Dorfmann (Comander) aus Maienfeld. Für die Reformation in Chur spielten Laien eine wichtige Rolle: Taktgeber für die Erneuerungen war der Rat der Stadt, nicht Johannes Comander. Dieser beklagte sich in Briefen verschiedentlich über Widerstände, gegen die er kämpfen musste. Das Nebeneinander von weltlicher Stadt und bischöflichem Hof bedeutete lange Zeit eine grosse Herausforderung.

Vorreiterin, nicht Hauptstadt. In Zürich, Bern, Basel, Schaffhausen oder St. Gallen herrschte die Stadt über das Land: Ihre Entscheidungen galten auch für die Landschaft. In Graubünden verhielt es sich anders. Die drei Bünde standen zueinander in einem gewissen Konkurrenzverhältnis. Chur war zwar neben Chiavenna der wichtigste Handelsort in ihrem Gebiet, doch wollten die beiden andern Bünde dem Vorort des Gotteshausbundes bewusst keinen Vorrang zugestehen. Eine Vorreiterrolle für die Reformation erhielt Chur einzig durch Comanders Wirken. Nach dessen Tod entfiel diese. Erst als sich um 1750 einflussreiche Adelsfamilien in Chur niederliessen, erlangte dieses grössere Bedeutung. Mit dem Verlust des Veltlins und Chiavennas 1815 war für Chur der Weg frei, Hauptstadt des Kantons Graubünden zu werden.

Neue Verhältnisse und Veränderungen. Bis 1874 waren Kirchgemeinde und Stadtgemeinde identisch. Die Gründung einer eigentlichen Kirchgemeinde erfolgte erst 1875 in Folge der Bundesverfassung von 1874, mit der Zivilstandswesen und Bestattungswesen von der Kirche an die staatlichen Instanzen übergingen. Der nun eigenständigen Kirchgemeinde wurden sämtliche kirchlichen Güter übertragen – ein Prozess, der erst 1917 bei der Renovation der Martinskirche abgeschlossen wurde. Weitere markante Veränderungen brachten in Chur die Strömung des Religiösen Sozialismus (Paul Martig und Leonhard Ragaz), die Einführung des Frauenstimmrechts 1918, die Wahl von Greti Caprez als Anstaltspfarrerin (1941), der Bau der Comanderkirche als des ersten reformierten Kirchenbaus (1957) und die Wahl von Angelika Müller als erster Frau in das Gemeindepfarramt (1991). Seit 1970 bilden die Reformierten nicht mehr die grösste Bevölkerungsgruppe der Stadt. Bald dürften die Angehörigen anderer Religionen zusammen mit den Konfessionslosen zahlreicher sein.

Das Buch „Glaube und Bewährung – 500 Jahre Reformation in Chur 1523-2023“ ist im Somedia Buchverlag Chur erschienen.

Peter Wydler
Pfarrer und Kirchenratsaktuar
 

Bild: Blick in das reich illustrierte Buch. Der Holzschnitt aus der Chronik von Johannes Stumpf aus dem Jahr 1547 zeigt Chur an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die aufstrebende Bürgerschaft gab der Stadt ein neues Selbstbewusstsein - auch religiös.