7.4.2023

Vom Seufzen der Kreatur

Die Kirche in Felsberg ist anders, das habe ich gewusst. Keine Bänke, sondern ein Tisch, und wenn kein Tisch, dann Stühle. Dass am heutigen Karfreitag letzteres der Fall sein wird, war angekündigt: „Gestuhlt“, hiess es in der Ausschreibung. Ich steige die lange Kirchentreppe hoch. Als ich eintrete, bin ich dann doch erstaunt: die ersten Gottesdienstbesucherinnen und -besucher haben bereits Platz genommen - mit Blick zur Eingangstür. Dem Chor, wo die Sonne ihr erstes Licht durch die farbigen Fenster schickt, wenden sie den Rücken zu, ebenfalls der Kanzel.

An Karfreitag stehe die Welt Kopf, begrüsst Pfarrer Fadri Ratti die Gemeinde. Der Feiertag nehme in Blick, was gerne ausgeblendet und oft verdrängt werde. Den Schmerz und das Leiden zum Beispiel, auch das "Weinen der Erde" und das "Seufzen der Kreatur". Zu lange habe sich der Mensch als Krone der Schöpfung verstanden, sich neben oder über sie gestellt. "Der Riss ist offensichtlich“, sagt Ratti und fragt: „Einfach so weitermachen? Den „fragmentierten Zerfall" zulassen oder doch versuchen, den grossen Wandeln zu gestalten?

Der Schmerz weise hin auf das zu Wandelnde, so Ratti in seiner Predigt. „Langsam beginnen wir zu ahnen, dass wir als Menschen Teil eines pulsierenden Organismus sind - aus denselben Elementarteilchen geschaffen wie alles Lebendige, dieselbe Luft atmend, mit allem verbunden". Er zitiert den libanesischen Dichter Khalil Gibran: Schmerz sei das Zerbrechen der Schale, die das Verstehen umschliesse. Die Gemeinde singt „O Haupt voll Blut und Wunden“ und liest im Wechsel einen Text aus dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen: „Wir bitten um Vergebung, wir bitten um die Gabe der Besinnung, wir bitten um die Stärke der Veränderung.“

In einem "Tränenritual" fordert Ratti die Gemeinde auf, die eigenen Tränen in Worte zu fassen und sie mit wasserlöslichem Stift auf einen Zettel zu schreiben. Die Zettel werden eingesammelt, einige Worte vorgelesen und dann in eine mit Wasser gefüllte Schale gelegt. Ja, an Karfreitag sei das Weltbild der Jesus-Jünger zusammengebrochen, Verunsicherung hätte sich breitgemacht. Ratti lädt die Anwesenden ein, ihm auf den Friedhof zu folgen, um die Tränenworte der Erde zu übergeben.

Am frühen Morgen in drei Tagen wird dort ein Osterfeuer angezündet werden - in einer Feuerschale, die der Künstler Roman Platz eigens für diesen Zweck gestaltet hat.

Stefan Hügli
Kommunikation
 

Bild: Die Kreuzigung Jesu. Glasfenster in der Kirche Felsberg.